SEMINARGESCHICHTEN

Unter der Dusche – Partner- und Persönlichkeitspsychologie

Wieder dasselbe: der Brausekopf auf Grobstrahl gestellt. Dabei ist es meine Dusche. Und in meiner Dusche gilt Feineinstellung!
Wann ist sie mir eigentlich zum ersten Mal aufgefallen, diese Diskrepanz zwischen Grob- und Feineinstellung? Vor zehn Jahren, als ich ihn kennen lernte? Vor fünf, vor drei? Dass wir unterschiedlich sind, wusste ich von Anfang an, schließlich sind wir Mann und Frau.
Das Wissen ist das eine, das Verstehen und Akzeptieren das andere. Aber das Leben dazwischen, mit seinen Zwischentönen, ist es auf Dauer tragbar, haltbar mit zwei unterschiedlichen „Brauseköpfen“?
Da treffen sich zwei Menschen, Mann und Frau. Jeder mit seinen Erfahrungen, Siegen und Niederlagen, Hoffnungen und Enttäuschungen im Gepäck. Gelebtes Leben, nicht mehr so formbar wie in der Zeit kurz nach der Jugend, sagt man. Jeder bringt an Erwartungen mit, was in der Vergangenheit nicht erfüllt werden konnte. Jeder hofft auf ein erfülltes Leben, Freiheit für die eigenen Interessen, Wunscherfüllung, blindes Verstehen, streitbaren Austausch, nährende Nähe und manches mehr in der neuen Gemeinsamkeit. Doch dann, eines Tages, folgen Erwachen, Enttäuschung, möglicherweise Vorwürfe an den anderen, der nicht glücklich machen konnte und die bange Frage: Lieben wir uns noch, passen wir überhaupt zusammen?
Die Liebe zu einem Partner, die romantische Bindung, die immer neues Anregendes und Erregendes bringt und das möglichst lebenslang, ist heute – beinahe stärker als früher – ein Wunsch vieler Menschen. Die Erwartung an die Liebe, ihre inspirierende Wirkung ist groß, die Last, die sie tragen muss nicht minder.
In unserer psychologisch aufgeklärten Zeit müsste doch jeder wissen, wer zu einem passt und wer besser nicht. Wir kennen uns, denn wir sind reflexiv geworden. Nicht zuletzt dank der Seminare, die wir zur Selbstfindung besuchten oder der kritischen Personalabteilungen, die uns auf den personaldiagnostische Seziertisch legten, bevor sie uns den schlecht bezahlten Job ausreichten.
Wir wissen alles – na ja fast alles – über uns und selbstverständlich auch über die Struktur des Anderen. Denn wie die Anderen sind, haben wir ebenfalls in Weiterbildungen gelernt, als es darum ging, nun unsere Kunden zu diagnostizieren.
Wir wissen alles über die Verschiedenartigkeit des Menschen, könnten uns bewusst paaren, entweder die Symbiose aus Verschiedenartigkeit oder den harmonischen Gleichklang suchen.
Wir sind mit dem Wissen gewappnet doch schützt es uns davor, sich zu irren?
Als moderner Mensch treffen wir Ihn oder Sie natürlich nicht beim Foxtrott im Schlummerlicht einer öden Nachtbar – nein – wir treffen den strukturell zu uns passenden Teil im Büro, in der Kantine, auf einer Weiterbildung. Da stehen wir dann mit unseren Defiziten, halten Ausschau oder auch nicht. Auf jeden Fall sind wir aufmerksam, neugierig geworden, vielleicht auf den initiativen / stetigen und beziehungsorientierten oder den dominanten / gewissenhaften und aufgabenorientierten potentiellen Partner. Wir interessieren uns füreinander, lernen uns kennen und lieben. Wir werden ein Paar, leben, streiten, kämpfen, verletzen und versöhnen uns.
Und eines Tages stehen wir unter der Dusche und der Brausekopf ist verstellt!
Das Thema Liebe beschäftigt die Menschheit schon seit jeher. Dichter und Philosophen zeigen uns dabei meist die polarisierenden Seiten, die Euphorie und den Schmerz, den glücklichen Beginn und das traurige Ende, die Geburt und den Tod der Liebe. Tucholsky schrieb einmal: Es wird nach einem Happyend im Film gewöhnlich abgeblendt. Abgeblendet, weil danach angeblich nichts mehr kommt, als verbrannte Milch und Langeweile.
Wir wissen, dass es in einer guten Beziehung mindestens einige Gemeinsamkeiten geben sollte. Aber schauen wir uns wirklich so genau an?
Wir sind verliebt, wir zeigen uns in unserer Rolle als Büromensch, smarte Geschäftsfrau, cleverer Geschäftsmann. Wir sind der Meinung, uns ohne Weiteres auf die Hobbys und Interessen des anderen einstellen zu können, sie mitzumachen oder zumindest zu akzeptieren. Er liebt lange, blonde Haare? Kein Problem, dann lasse ich meine etwas zarten aschbraunen Fusseln wachsen. Sie liebt das Meer? Macht nichts, dann geht’s halt einmal im Jahr ans Meer und einmal ins Gebirge und so weiter und so weiter. – Das machen wir ganz bestimmt, ist doch nicht weiter schlimm, schließlich lieben wir uns.
Wir sollten uns mit einem Grundwissen zu Persönlichkeitstypen ausstatten. Einerseits, um die Verschiedenheit des Anderen zu tolerieren und andererseits, um herbe Enttäuschungen zu vermeiden.
Mit der Erforschung von Persönlichkeiten befassten sich schon die Gelehrten der Antike. Ein uns heute noch bekanntes Modell ist das Hipprokratische, die vier Temperamente: Sanguiniker, bekannt als fröhliches Naturell, aktiv, flexibel, wissbegierig, Phlegmatiker als gruppenorientierter Bodenständiger, ruhig, ausgeglichen, pragmatisch. Der Choleriker als selbstbewusster Kämpfer, zielgerichtet, leidenschaftlich, wetteifernd. Der Melancholiker als schwermütiger Grübler, tiefgründig, kritisch und still.
Die Persönlichkeitsforschung hat sich weiterentwickelt und ist in ihren wissenschaftlichen Untersuchungen darüber, was das Wesen des Menschen ausmacht, immer differenzierter geworden. Die „Big five“, auch bekannt als „Fünf-Faktoren-Modell“ unterscheiden Menschen in den Dimensionen emotionale Belastbarkeit, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Damit werden verschieden Erkenntnisse gewonnen. So weiß man, dass sich in unserer Leistungsgesellschaft eine hohe emotionale Belastbarkeit als nützlich erweist. Damit scheinen wir gut gerüstet für den Leistungsdruck am Arbeitsplatz und auch dafür, die großen und kleinen Niederlagen besser zu ertragen. Die meisten Arbeitgeber wünschen sich hoch gewissenhafte Mitarbeiter. Garantiert diese Eigenschaft doch einen hohen Leitungswillen, eine große Selbstdisziplin und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Doch was, wenn im privaten Bereich beide Partner leitungsorientiert und ehrgeizig sind? Wer steckt dann im Interesse einer Familienplanung und auch eines ausgeglichenen Familienlebens zurück? Und derjenige, der zurücksteckt, seinen Ehrgeiz dämmt, sich Kind und Familie widmet – wird er später weiterhin der passende Partner sein? Wird er noch genügen? Wird er dann nicht stehengeblieben sein und von dem anderen nur noch eine Staubwolke sehen?
Wer eine hohe Offenheit für Erfahrungen besitzt, möchte Vieles ausprobieren und kennen lernen. Er scheut sich nicht vor Neuem und Unbekanntem. Was aber, wenn sein Partner ein gegensätzliches Wesen hat? Das führt zu unterschiedlichen Bedürfnissen und Einstellungen. Mit großer Wahrscheinlichkeit gehen die Interessen beider dann sehr weit auseinander.
Die Sinfonie des Lebenssinnes ergibt sich aber auch aus anderen Zwischentönen, zum Beispiel den Lebensskripten durch Erziehung und Erfahrung und daraus, dass Menschen sich entwickeln, ob sie wollen oder nicht. Die Chancen, die unsere freie Welt jedem Einzelnen bietet, sich entsprechend seiner Potenziale zu entwickeln, sind groß und können angenommen werden oder nicht. Wer annimmt, entwickelt sich, ist vielleicht morgen ein anderer als der, der er gestern war.
Und dann hat sich der „Brausekopf“ verstellt.
Liebe geht ihre eigenen Wege, werden sie jetzt einwenden und es wäre ja noch schöner, wenn jeder zuerst seine Persönlichkeit analysiert und dann gezielt auf Suche geht. Das ist Planung und Berechnung und wo bleibt dann die Romantik der Liebe?
Sie haben Recht denke ich! Ein Stück Selbstreflexion wäre dennoch angebracht und auch ein Nachdenken darüber, was man beim Anderen akzeptieren kann und was nicht.
Selbstreflexion hilft nicht nur, eine erfüllte Partnerschaft zu leben, sondern kann auch persönlicher Entwicklungen Antrieb verleihen. Und für alle, die sich diese Mühe nicht machen wollen, sei noch erwähnt, dass amerikanische Gehirnforscher herausgefunden haben, dass manche Paare auch noch nach über 25 Jahren des gemeinsamen Lebens dieselben Glückshormone ausstreuen wie Jungverliebte. Ob die Partner weitgehend ähnlich oder unterschiedlich in ihren Persönlichkeitsmerkmalen waren, verschweigt die Studie leider.
Vielleicht hat ja einer von beiden „Duschköpfe“ synchronisiert, zurückgestellt oder toleriert.
Elka Baudis